Zur Auslegung von Versicherungsbedingungen

Was ist passiert?

Der im Jahre 1947 geborene Versicherungsnehmer schloss mit dem Versicherer im Jahr 1984 einen Er- und Ablebensversicherungsvertrag mit Gewinnbeteiligung ab, der vertragsgemäß am 01.02.2032 enden sollte. Darüber hinaus ermöglichte der Versicherer dem Versicherungsnehmer eine Vertragsbeendigung zu begünstigten Bedingungen bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen. Die diesbezügliche Klausel lautete auszugsweise wie folgt:

»Begünst.Rückkauf – Klausel 511

Der Versicherungsnehmer hat das Recht, diese Lebensversicherung zu begünstigten Bedingungen zum 60. Lebensjahr aufzulösen und die Auszahlung eines nach versicherungstechnischen Grundsätzen errechneten Ablösebetrags zu verlangen. Diese Ablösesumme beträgt, wenn die versicherte Person das versicherungsmäßig 60. Lebensjahr vollendet hat EUR 5.323,96.

Dieser Betrag erhöht sich noch um den Rückkaufswert des bis zu diesem Zeitpunkt erworbenen Gewinnkapitals, das sind EUR 4.092,02.

[…].

Da die in den künftigen Jahren erzielbaren Überschüsse nicht vorausgesehen werden können, beruhen Zahlenangaben über die Gewinnbeteiligung auf Schätzungen, denen die gegenwärtigen Verhältnisse zugrunde liegen. Solche Angaben sind daher unverbindlich. Die Höhe vergangener Zuteilungen lässt keine Rückschlüsse auf künftige Ergebnisse zu. Insbesondere bei längeren Laufzeiten können die tatsächlichen Zuteilungen von den dargestellten Werten stark abweichen.«

Der Versicherungsnehmer hat die Beendigung des Vertrags nicht mit Vollendung seines 60. Lebensjahres erklärt, sondern erst zum Ablauf des 37. Versicherungsjahres (01.02.2021), als er bereits 74 Jahre alt war. Er erhielt vom Versicherer einen Auszahlungsbetrag in Höhe von EUR 14.904,31, der sich laut Schreiben des Versicherers aus dem „Rückkaufswert“ sowie einer „Gewinnbeteiligung“ zusammensetzt. Nach Ansicht des Versicherungsnehmers stünden ihm jedoch noch zusätzlich EUR 5.323,96 zu. Der Fall gelangte schließlich vor dem Obersten Gerichtshof (OGH).

Wie ist die Rechtslage?

Nach Ansicht des OGH (7 Ob 78/23f) ist der Wortlaut der vorliegenden Klausel so eindeutig, dass keine Auslegungszweifel verbleiben können. Nach dem eindeutigen Wortlaut der Klausel erhalte der Versicherungsnehmer, wenn er das 60. Lebensjahr vollendet hat (hier: Februar 2007), einen als „Ablösesumme“ bezeichneten Betrag von EUR 5.323,96 zuzüglich eines Betrags von EUR 4.092,02, der als „Rückkaufswert des bis zu diesem Zeitpunkt erworbenen Gewinnkapitals“ bezeichnet wird.

Damit sei für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer völlig klar geregelt, dass sich sein Zahlungsanspruch bei begünstigter Vertragsauflösung nur aus diesen (zwei) Positionen zusammensetzt. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass der Versicherer in seinem Schreiben an den Versicherungsnehmer anstelle der oben genannten Positionen die Begriffe „Rückkaufswert“ und „Gewinnbeteiligung“ verwendet hat.

Da der Versicherungsnehmer die Beendigung des Vertrags nicht mit Vollendung seines 60. Lebensjahres erklärt hat, habe der Versicherer nicht die in der Klausel angeführte (begünstigte) Ablösesumme von EUR 5.323,96, sondern die rechnerisch zu diesem Zeitpunkt zustehende Ablösesumme von EUR 8.945,50 ausbezahlt und diese lediglich als „Gewinnbeteiligung“ bezeichnet. Der Versicherer habe daher in Entsprechung des Wortlautes der Klausel zwei Positionen an den Versicherungsnehmer ausbezahlt. Der OGH kam somit zum Ergebnis, dass der Versicherungsnehmer keinen Anspruch auf Zahlung von weiteren EUR 5.323,96 hat.

Schlussfolgerung

Dazu Rechtsanwalt Dr. Roland Weinrauch:

»Allgemeine Versicherungsbedingungen sind orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers auszulegen. Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen. Unklarheiten gehen zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers. Nachdem jedoch nach Ansicht des OGH im vorliegenden Fall keine Unklarheiten vorliegen, standen dem Versicherungsnehmer bei der Vertragsbeendigungen nur zwei Positionen zu