Grobe Fahrlässigkeit des Juweliers bei einem Überfall?

Was ist passiert?

Zwischen der Versicherungsnehmerin und dem Versicherer besteht eine Reise- und Warenlagerversicherung, welchem die Allgemeinen Bedingungen 2008 für die Reise- und Warenlager-Versicherung (AVL RWL 08) zugrunde liegen. Nach einem Raubüberfall im Jahr 2014 forderte der Versicherer (auszugsweise) die nachstehenden Verbesserungen der Sicherheitsvorkehrungen:

» Sicherungsbeschreibung

[…] T1 … Ladeneingangstür, Metallrahmen mit Verbundsicherheitseinsatz (wie SF); 1 Profilzylindersicherheitsschloss 2-tourig, elektronischer Türöffner (Zeiten siehe Police)“

„4. Lageplan und Sicherungsbeschreibung

Folgende Ergänzungen zum Lageplan sind Grundlage für den Versicherungsschutz:

[…]

– Die Ladeneingangstüren (Risiko A und B) sind ständig verschlossen zu halten und nur per Fernbedienung für den kurzfristigen Eintritt von Kunden zu öffnen.

– Die Personen, die den Laden (Risiko A und B) morgens öffnen und abends schließen, müssen einen mobilen Überfallmelder bei sich tragen.

[…]«

Die Versicherungsnehmerin ließ daraufhin die in der Sicherheitsbeschreibung angeführten elektronischen Ladeneingangstüröffner installieren. Dass die elektronisch verschlossene Eingangstür durch bloßes Aufdrücken der Zarge geöffnet werden konnte, war der Versicherungsnehmerin bis zum gegenständlichen Vorfall nicht bewusst. Im Jahr 2020 dekorierte eine Angestellte der Versicherungsnehmerin kurz nach Ladenöffnung die hell erleuchteten Auslagen mit dem Rücken zur Tür mit Schmuckstücken und wurde zu diesem Zweck die Tür des Tresors offengelassen. Der vor der Tür vorhandene Rollbalken war zu diesem Zeitpunkt nicht heruntergelassen. Zwei unbekannte Täter verschafften sich gewaltsam mit einem Schraubendreher Zutritt zum Geschäftsraum, in dem sie die elektronisch verschlossene, jedoch nicht mit dem Schlüssel versperrte Geschäftseingangstür aufhebelten. Der Überfall dauerte 40 Sekunden. Zum Zeitpunkt des Überfalls trug die im Geschäft anwesende Angestellte keinen Alarmtaster. Die Versicherungsnehmerin begehrte Ersatz des beim Raubüberfall entstandenen Schadens. Der Versicherer lehnte ab und wendete unter anderem die grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls ein.

Wie ist die Rechtslage?

In seiner Entscheidung führte der Oberste Gerichtshof (OGH) aus, dass der Versicherungsnehmerin in einer Gesamtbetrachtung kein grob fahrlässiges Verhalten vorwerfbar sei. Dass die elektronisch verschlossene Eingangstür durch bloßes Aufdrücken der Zarge geöffnet werden konnte, war der Versicherungsnehmerin nicht bewusst. Ein Tragen des Alarmtasters hätte nach Ansicht des OGH an dem binnen 40 Sekunden abgeschlossenen Raubüberfall nichts zu ändern vermocht und das sichtbare Dekorieren des Schaufensters vermag – ausgehend davon, dass die Versicherungsnehmerin zu diesem Zeitpunkt auf eine elektronisch gesicherte Tür vertrauen durfte – für sich genommen einen Vorwurf grober Fahrlässigkeit nicht begründen. Die besondere Helligkeit der Beleuchtung möge zwar die Aufmerksamkeit von Passanten anziehen, begünstigt aber nicht unbedingt einen Überfall.

Schlussfolgerung

Dazu Rechtsanwalt Dr. Roland Weinrauch:

»In der vorliegenden, eher versicherungsnehmer-freundlichen Entscheidung misst der OGH bei der Beurteilung, ob ein grob fahrlässiges Verhalten vorliegt, dem Umstand, dass für die Versicherungsnehmerin die recht einfache Überwindung der Eingangstüre nicht erkennbar war, eine entscheidungswesentliche Bedeutung zu. Nichtsdestotrotz sind bei der Beurteilung der groben Fahrlässigkeit stets alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen