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Was ist passiert?

Die Versicherungsnehmerin schloss bei der beklagten Versicherung im Jahr 2013 einen Lebensversicherungsvertrag ab, wobei die Monatsbruttoprämie mit EUR 50,00 und Wertanpassungsklausel festgelegt wurde. Eine Belehrung über das Rücktrittsrecht fand zu diesem Zeitpunkt statt. Im Juli 2014 übermittelte die Versicherungsnehmerin einen Änderungsantrag an die Versicherung, wonach die monatliche Prämie von EUR 50,00 auf EUR 100,00 ab August 2014 erhöht werden sollte und um Indexausschluss für das Jahr 2014 gebeten wurde. Die Versicherung stellte der Versicherungsnehmerin infolgedessen einen entsprechenden Nachtrag bezüglich „Erhöhung der Versicherungssumme, Prämie, Ausschluss einer Wertanpassungsvereinbarung“ aus. Mit Nachtrag vom 12.08.2015 kam es wiederum zum „Einschluss einer Wertanpassungsvereinbarung“. Auf der letzten Seite der Nachträge fanden sich nach Ansicht der Versicherungsnehmerin unrichtige Rücktrittsbelehrungen.

Im Juni 2022 erreichte die Versicherung ein E-Mail der Versicherungsnehmerin, in der der Rücktritt von allen Änderungen des Versicherungsvertrags erklärt und damit zusammenhängend die Prämiendifferenz samt Zinsen rückgefordert wurde. Begründet wurde dies mit der fehlenden bzw. intransparenten Belehrung über ihr gesetzliches Rücktrittsrecht, welches nicht nur den erstmaligen Abschluss des Versicherungsvertrages betrifft, sondern auch bei Nachträgen von Relevanz sei. Der Rücktritt wurde von der Versicherung abgelehnt. Der Fall landete schließlich vor dem Obersten Gerichtshof (OGH).


Wie ist die Rechtslage?

In seiner Entscheidung vom 18.12.2024, 7 Ob 155/24f, führte der OGH zunächst aus, dass gem. § 165a VersVG idF BGBl I 2012/34 binnen 30 Tagen nach der Verständigung vom Zustandekommen des Versicherungsvertrages aufseiten des Versicherungsnehmers ein Rücktrittsrecht besteht. Bei unkorrekter und unverständlicher Belehrung über dieses Rücktrittsrecht gilt dieses mangels Möglichkeit zur Ausübung unbefristet.

Während hinsichtlich des Vertragsabschlusses nach Ansicht des OGH die erfolgte Rücktrittsbelehrung grundsätzlich nicht zu beanstanden ist, wurde die noch nicht geklärte Frage aufgeworfen, ob die Verpflichtung zur Rücktrittsbelehrung bzw. das Bestehen eines Rücktrittsrechtes nach Ansicht des unionsrechtlichen Gesetzgebers auch bei späteren individualvertraglichen Änderungen des Versicherungsvertrages gilt.

Gem. Art 186 Abs 1 RL 2009/138/EG ist Versicherungsnehmern eines Lebensversicherungsvertrages ein Rücktrittsrecht innerhalb einer bestimmten Frist zu gewähren. Nach Art 185 Abs 1 RL 2009/138 EG ist der Versicherungsnehmer vor Vertragsabschluss der Lebensversicherung über gewisse Informationen wie etwa Rücktrittsrechte aufzuklären. Art 185 Abs 5 lit c RL 2009/138/EG schreibt unter anderem vor, dass Versicherungsnehmer im Zusammenhang mit Zusatzverträgen über alle Änderungen iSd Art 185 Abs 3 lit d bis lit j RL 2009/138/EG zu informieren sind. In anderen Sprachfassungen fallen unter den Begriff „Zusatzvertrag“ individualvertragliche Änderungen eines bestehenden Versicherungsvertrages.

Nachdem sich der RL 2009/138 nicht hinreichend entnehmen lässt, ob eine Rücktrittsbelehrung über ein bestehendes Rücktrittsrecht auch bei späteren individualvertraglichen Änderungen vorzunehmen ist und dazu auch keine Judikatur oder gefestigte Rechtsmeinung besteht, hat sich der OGH mit einem Vorabentscheidungsersuchen zur Klärung dieser Frage an den EUGH gewandt. Das anhängige Verfahren wurde bis zur Klärung dieser spannenden Frage vorerst ausgesetzt.

Schlussfolgerung

Dazu Rechtsanwalt Dr. Roland Weinrauch:

»Zahlreiche Entscheidungen haben sich bereits mit den Rücktrittsbelehrungen zu den Lebensversicherungen und den Folgen der fehlerhaften oder unzureichenden Informationen an den Versicherungsnehmer auseinandergesetzt. Nicht geklärt wurde bisher aber die aufgeworfene Frage, ob ein Rücktrittsrecht und eine damit bestehende Rücktrittsbelehrungspflicht auch dann besteht, wenn es zu einer späteren individualvertraglichen Änderung des Vertrages kommt. Nachdem die Klärung dieser Frage für Versicherungsnehmer neue Rücktrittsmöglichkeiten eröffnen könnte, bleibt die Beantwortung dieser Frage durch den EUGH mit Spannung abzuwarten.«

Was ist passiert?

Zwischen dem Versicherungsnehmer und der Versicherung besteht ein Betriebshaftpflicht-Versicherungsvertrag. Der Versicherungsnehmer hat eine Gewerbeberechtigung für das „Handels- und Handelsagentengewerbe“. Das versicherte Risiko ist „Betriebsart: Heizungs-, Lüftungs-, Klimaanlagen – Handel mit Montage“. Dem Versicherungsvertrag liegen unter anderem die Allgemeinen Bedingungen für die Haftpflichtversicherung 2004 (AHVB 2004) zugrunde. Diese lauten auszugsweise wie folgt:


»1. Versicherungsfall
1.1 Versicherungsfall ist ein Schadenereignis, das dem versicherten Risiko entspringt und aus welchem dem Versicherungsnehmer Schadenersatzverpflichtungen (Punkt 2) erwachsen oder erwachsen könnten.«



Der Versicherungsnehmer wurde von einem ehemaligen Geschäftspartner damit beauftragt, sich an der Einreichplanung eines Bauvorhabens (Geflügelmaststall) zu beteiligen und hierfür Konzepte und Pläne zu erstellen und Berechnungen vorzunehmen. Das Konzept des Versicherungsnehmers wurde als Grundlage für den Vertrag zwischen dem ehemaligen Geschäftspartner und dessen Kunden erstellt. Dieser Kunde behauptet nun, dass die vom ehemaligen Geschäftspartner des Versicherungsnehmers ausgeführte Heizungs- und Belüftungsanlage samt Wärmeregulierung in einem Geflügelmaststall unterdimensioniert ist. Aus diesem Grund wurde auch der Versicherungsnehmer von seinem ehemaligen Geschäftspartner in Anspruch genommen.

Fraglich war nun, ob dieser Sachverhalt vom Versicherungsschutz der Betriebshaftpflicht-Versicherung umfasst war. Der Fall landete schließlich vor dem Obersten Gerichtshof (OGH).


Wie ist die Rechtslage?

In seiner Entscheidung vom 23.10.2024, Aktenzeichen: 7 Ob 151/24t, führte der OGH zunächst aus, dass das Haftpflichtversicherungsrecht von der Spezialität der versicherten Gefahr beherrscht ist, wonach nur für solche Schadenfälle Versicherungsschutz besteht, die sich aus dem im Versicherungsschein (der Versicherungspolizze und ihren Nachträgen) umschriebenen „versicherten Risiko“ ableiten lassen. Sinn und Zweck einer Betriebshaftpflichtversicherung sei es, alle Haftpflichtgefahren, die dem versicherten oder mitversicherten Betriebsangehörigen aus dem betreffenden Betrieb erwachsen können, unter Versicherungsschutz zu stellen. Maßgebend sei dabei der Umfang der Gewerbeberechtigung. Über die Gewerbeberechtigung offensichtlich hinausgehende Tätigkeiten sollen vom Versicherungsschutz grundsätzlich ausgeschlossen sein.

Der Deckungsanspruch des Haftpflichtversicherten sei durch das versicherte Risiko spezialisiert und von dem vom Geschädigten erhobenen Anspruch abhängig. Nach Ansicht des OGH hätte es sonst der Versicherungsnehmer in der Hand, durch bloße, dem Anspruch des Geschädigten widersprechende, Behauptungen Deckung zu erlangen. Grundlage für die Prüfung, ob ein gedeckter Versicherungsfall vorliegt, sei daher der geltend gemachte Anspruch, ausgehend von dem vom Geschädigten behaupteten Sachverhalt.

Unter „Handel“ (Handelstätigkeit) sei nur die auf den Warenaustausch gerichtete, gewerbsmäßig ausgeübte Tätigkeit zu verstehen, wobei bereits beim Erwerb der Ware der Zweck, diese an andere Personen weiterzugeben, zugrunde liegen muss. Allerdings haben Gewerbetreibende nach der Gewerbeordnung auch bestimmte Nebenrechte. Demnach dürfen Gewerbetreibende auch Arbeiten, die im zulässigen Umfang ihrer Gewerbeausübung liegen, planen. Das Recht zur Planung sei umfangmäßig beschränkt und von der tatsächlichen Ausübung des Gewerbes abhängig.

Im Ergebnis führte der OGH sodann aus, dass der ehemalige Geschäftspartner seinen Schadenersatzanspruch gegen den Versicherungsnehmer darauf gründet, dass es seine Hauptleistung war, ein Konzept (Planung) zu erstellen. Vom Versicherungsnehmer seien demnach „reine Planungsleistungen“ erbracht worden. Nach Ansicht des OGH überschreitet dies die nach der Gewerbeberechtigung zulässige Handelstätigkeit sowie auch die damit zusammenhängenden Nebenrechte. Die Konzeption (= Planung) der Lüftungs- und Wärmegewinnungsanlage für den Hühnerstall samt Berechnungen zur benötigten Luftmenge für die Küken, welche in die Einreichplanung und die Ausschreibung des Projekts des Geschädigten einfließen sollte, übersteige die „Planung eines Handels“ mit zugekaufter Ware. Zulässig wäre es beispielsweise gewesen, wenn sich der Versicherungsnehmer darauf beschränkt hätte, Kennzahlen und Daten eines Planers zu übernehmen, von denen ausgehend er sodann „konzipiert“ (= geplant) hätte, welche Teile seines Warenangebots er dafür benötigen würde, um zu prüfen, ob er eine hinreichende Anlage liefern könne.

Schlussfolgerung

Dazu Rechtsanwalt Dr. Roland Weinrauch:

»Das Betriebshaftpflichtrisiko ist nicht nur auf typische Betriebsgefahren beschränkt, sondern umfasst im Hinblick auf die Vielfalt der mit einem Betrieb verbundenen Haftpflichtgefahren alle Tätigkeiten, die mit dem versicherten Betrieb in einem inneren ursächlichen Zusammenhang stehen.«