Schlagwortarchiv für: Unfallversicherung

Was ist passiert?

Zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Versicherer bestehen zwei Unfallversicherungsverträge. Einem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die Unfallversicherung (AUVB 1989) zugrunde, dem anderen Versicherungsvertrag die Allgemeinen Bedingungen für die Unfallversicherung (AUVB 2015, Fassung 02/2016). Die AUVB 1989 lauten auszugsweise wie folgt:

»Artikel 17
Ausschlüsse
Ausgeschlossen von der Versicherung sind Unfälle
[…]
9. die der Versicherte infolge einer Bewußtseinsstörung erleidet, oder infolge einer wesentlichen Beeinträchtigung seiner psychischen Leistungsfähigkeit durch Alkohol, Suchtgifte oder Medikamente; […]“
 
Die AUVB 2015, Fassung 02/2016, lauten auszugsweise wie folgt:
 
„Artikel 15
Ausschlüsse
In welchen Fällen zahlen wir nicht?
[…]
8. die die versicherte Person infolge einer wesentlichen Beeinträchtigung seiner psychischen oder physischen Leistungsfähigkeit durch Alkohol, Suchtgifte oder Medikamente erleidet; […]“
«

Am 19.02.2023 konsumierte der Versicherungsnehmer auf einem Faschingsball alkoholische Getränke. Sein Blutalkoholwert betrug 1,9 Promille. Wegen seiner Alkoholisierung hat sich der Versicherungsnehmer dazu entschieden, auf einen etwa 1,10 bis 1,20 m hohen und etwa 60 bis 80 cm breiten Stehtisch zu klettern, um darauf zu tanzen. Beim nachfolgenden Sprung auf den Boden verletzte er sich. Der Versicherungsnehmer begehrte vom Versicherer die Zahlung von EUR 53.313,51 als Versicherungsleistung aus diesem Ereignis.

Wie ist die Rechtslage?

In seiner Entscheidung vom 25.06.2025, Aktenzeichen 7 Ob 100/25v, führte der Oberste Gerichtshof (OGH) zunächst aus, dass der – einem verständigen Versicherungsnehmer ohne weiteres erkennbare – Sinn der gegenständlichen Ausschlussklauseln darin liege, solche Unfälle vom Versicherungsschutz auszunehmen, die Folge einer beim Versicherten schon vor dem Unfall vorhandenen, gefahrerhöhenden Beeinträchtigung und sich daraus ergebenden Einschränkung sind.

Die Bewusstseinsstörung oder Beeinträchtigung müsse, um einen Ausschluss von der Versicherung zu begründen, den Unfall verursacht haben, zumindest aber mitursächlich gewesen sein.

Die Grenzwerte der Alkoholisierung, ab dem der Ausschlusstatbestand der wesentlichen Beeinträchtigung der psychischen Leistungsfähigkeit erfüllt ist, seien verschieden, je nachdem, ob der Versicherte etwa Autofahrer, Radfahrer oder Fußgänger ist.

Wenn der Blutalkohol allein für die Annahme des Ausschlussgrundes noch nicht ausreicht, sei der Begriff der wesentlichen Beeinträchtigung der psychischen Leistungsfähigkeit danach zu bemessen, ob der Versicherte noch in der Lage ist, mit der jeweiligen Situation, in der er sich in der Zeit des Unfalls befindet, einigermaßen zurechtzukommen.

Im vorliegenden Fall kam der OGH zum Ergebnis, dass der Versicherungsnehmer aufgrund seiner Alkoholisierung die Herausforderungen seines Sprungs an eine (erhöhte) Aufmerksamkeit und die – sich dann auch verwirklichende – Gefahr unterschätzt habe, in alkoholisiertem Zustand von einem Tisch zu springen und sturzfrei zu landen. Daraus folge die (Mit-)Ursächlichkeit der durch Alkohol beeinträchtigten Leistungsfähigkeit des Versicherungsnehmers am Unfall. Nach Ansicht des OGH haben sich daher die beiden oben dargestellten – vom Versicherer zu beweisende – Ausschlussgründe verwirklicht.

Schlussfolgerung

Dazu Rechtsanwalt Dr. Roland Weinrauch:

»Der Grenzwert des Alkoholisierungsgrades, ab dem eine wesentliche Beeinträchtigung der psychischen Leistungsfähigkeit vorliegt, hängt davon ab, ob die vom alkoholisierten Versicherungsnehmer ausgeübte Tätigkeit besondere Anforderungen an die Aufnahmefähigkeit, Konzentrationsfähigkeit und Reaktionsfähigkeit stellt oder nicht.«

Was ist passiert?

Der Kläger hatte bei der Beklagten eine private Unfallversicherung abgeschlossen. Vertragsgrundlage waren die AUVB 2018, die eine Kapitalleistung bei dauernder Invalidität vorsehen, deren Höhe sich aus der vereinbarten Versicherungssumme und dem Invaliditätsgrad nach einer Gliedertaxe errechnet. Der Kläger begehrt die Auszahlung der vereinbarten Versicherungssumme von 75.000 EUR mit der Begründung, dass er verschiedene gesundheitliche Beschwerden habe und aufgrund einer Borreliose-Erkrankung an beiden Seiten Hüftprothesen bekam, womit eine Bewegungseinschränkung vorliegen würde.

Das Erstgericht wies die Klage wegen Unschlüssigkeit ab, weil sich aus den Behauptungen des Klägers nicht ergibt, welche körperlichen oder geistigen Funktionsfähigkeiten beeinträchtigt seien und das Vorbringen, der Kläger leide an „entsprechenden dauernden Beeinträchtigungen des Bewegungsapparats“ unsubstantiiert ist und sich die Berechnung des Klagebetrags nicht nachvollziehen lässt. Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts. Der Kläger erhob dagegen außerordentliche Revision, welche vom OGH in der Entscheidung 7 Ob 124/25y zurückgewiesen wurde.

Wie ist die Rechtslage?

Eine private Unfallversicherung im Sinne der §§179 ff VersVG dient der Abdeckung der wirtschaftlichen Folgen von Unfällen, insbesondere im Falle einer dauernden Invalidität. Grundlage der Leistungspflicht ist die vertraglich vereinbarte Gliedertaxe oder – falls diese nicht anwendbar ist – die Bestimmung nach dem Grad der Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit. Damit ein Leistungsanspruch schlüssig geltend gemacht werden kann, muss der Kläger konkret vorbringen, welche Körperteile oder Sinnesorgane betroffen sind, in welcher Weise deren Funktionsfähigkeit beeinträchtigt ist oder in welchem Ausmaß die allgemeine körperliche bzw. geistige Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist. Erst aufgrund dieses Vorbringens ist – etwa mittels Sachverständigenbeweises – zu klären, ob die konkret behaupteten Beeinträchtigungen tatsächlich vorliegen. Für die Schlüssigkeit in der Klage genügt, wenn das Sachbegehren des Klägers materiell-rechtlich aus den zu seiner Begründung vorgetragenen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden kann.

Im konkreten Fall behauptete der Kläger nach Ansicht des OGH weder einen Kausalzusammenhang zwischen Zeckenbiss, Borreliose und konkreter Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Funktionsfähigkeit, noch deren Dauerhaftigkeit und erstattete auch kein Vorbringen dazu, welche Körperteile und/oder Sinnesorgane davon wie betroffen sind. Eine notwendige Aufschlüsselung zur geltend gemachten Invaliditätsleistung erfolgte ebenso wenig. Dem Argument, dass es sich bei der Versicherungssumme von EUR 75.000 um einen Fixbetrag handelt, dies losgelöst vom Invaliditätsgrad, wurde nicht gefolgt.

Schlussfolgerung

Bei der gerichtlichen Geltendmachung von Leistungen aus der Dauerinvalidität muss substantiiert dargelegt werden, welche konkreten körperlichen Beeinträchtigungen vorliegen und wie diese nach den Versicherungsbedingungen zu qualifizieren sind. Allgemeine Hinweise auf gesundheitliche Folgeschäden genügen nicht. Die vereinbarte Versicherungssumme stellt keinen Fixbetrag, sondern lediglich die Obergrenze dar, sodass die tatsächliche Leistung vom vorliegenden Invaliditätsgrad abhängt. Unterlässt der Kläger eine solche Konkretisierung, ist die Klage als unschlüssig abzuweisen.

Was ist passiert?

Der Versicherungsnehmer schloss mit dem Versicherer einen privaten Unfallversicherungsvertrag für das Berufsfeld Koch ab. Die zugrunde liegenden Allgemeinen Bedingungen für die Unfallversicherung 2019 UE00 in der Fassung 9/2019 lauten auszugsweise wie folgt:

»Artikel 7 – Dauernde Invalidität
[…]
9. Berufsunfähigkeit
Wird der Versicherte durch den Versicherungsfall dauernd vollständig berufsunfähig, bezahlen wir im Fall der dauernden Invalidität – unabhängig vom Invaliditätsgrad – 100% der dafür versicherten Summe. […]
Vollständige Berufsunfähigkeit bedeutet: Der Versicherte ist infolge des Unfalles voraussichtlich auf Lebenszeit überwiegend (mehr als 50% im Vergleich mit einem körperlich und geistig Gesunden mit vergleichbaren Fähigkeiten und Kenntnissen) außerstande seinen zum Zeitpunkt des Unfalles ausgeübten Beruf auszuüben. Diese Erwerbstätigkeit darf dann auch tatsächlich nicht mehr ausgeübt werden. […]«

Infolge eines Unfalls erlitt der Versicherungsnehmer eine dauernde Invalidität. Zum Zeitpunkt des Unfalls führte er selbständig eine Pension mit à la carte-Betrieb, in der er in seinem erlernten Lehrberuf „Koch“ tätig war. Er arbeitete als Küchenchef gemeinsam mit einem Sous-Chef und einer Küchenhilfe. Er und sein Koch führten alle Tätigkeiten eines Kochs samt Hilfsarbeiten in der Küche aus. Bei dem Unfall trat ein kompletter Verlust des Geruchssinns (Anosmie) des Versicherungsnehmers ein. Sein Geschmackssinn wurde insoweit beeinträchtigt als ein differenziertes (Ab-)Schmecken nicht mehr möglich war. Seit dem Unfall kocht nur mehr der ehemalige Sous-Chef, der Versicherungsnehmer ist lediglich als Hilfskraft in der Küche tätig. Er richtet die Teller an und erledigt Vorbereitungsarbeiten. Er bereitet zwar vereinzelt auch Speisen zu, aber ausschließlich mit fixen Mengenangaben nach fix vorgegebener Rezeptur, weil er die Zutaten weder auf ihre Qualität überprüfen, noch final abschmecken kann und er demnach lediglich manuell bzw. mechanisch in der Lage ist, die Zutaten in der vom Rezept vorgegebenen Menge zusammenzustellen. Der Versicherungsnehmer kocht daher nicht mehr selbständig, weil er sämtliche Gerichte weder abschmecken noch würzen oder à la minute zubereiten kann.

Gegenstand des Gerichtsverfahrens war nur mehr die Frage, ob der Versicherungsnehmer – im Sinne der zitierten Versicherungsbedingungen – die versicherte „Erwerbstätigkeit auch tatsächlich nicht mehr ausübt“.

Rechtliche Beurteilung

In seiner Entscheidung vom 29.01.2025, Aktenzeichen: 7 Ob 200/24y, führte der Oberste Gerichtshof (OGH) zunächst aus, dass die Frage, ob jemand die versicherte Erwerbstätigkeit noch tatsächlich ausübt, stets einzelfallbezogen zu beurteilen ist.

Nach Ansicht des OGH bedingen die Tätigkeiten eines Kochs grundsätzlich den uneingeschränkten Geruchs- und Geschmackssinn der handelnden Person. Innerhalb einer Küche gibt es – abgesehen von Hilfstätigkeiten – keinen Aufgabenbereich eines Kochs, bei dem der Geschmacks- und Geruchssinn nicht notwendig ist. Auch außerhalb der Küche, nämlich bereits beim Einkauf, ist der Geruchs- und Geschmackssinn für die Qualitätsprüfung der Lebensmittel von zentraler Bedeutung – das bloße „In-Augenschein-Nehmen“ alleine reicht nicht aus. Auch das Abschmecken aller zuzubereitenden Gerichte ist unabdingbar. Grundarbeiten und Zuarbeiten stehen auf der Ebene einer Hilfskraft.

Der OGH kam daher – wie auch die Vorinstanzen – zum Ergebnis, dass der Versicherungsnehmer den wesentlichen und prägenden Tätigkeiten eines Kochs, wie dem selbständigen Zusammenstellen von Menüs und dem Abschmecken und Zubereiten von Speisen seit dem Unfall nicht mehr nachkommt. Dadurch, dass er weiterhin Hilfstätigkeiten in der Küche erfüllt, übe er trotz allfälligem Überschneiden mit den auch von einem Koch durchgeführten Tätigkeiten, nicht mehr den Beruf eines Kochs, sondern jenen einer Küchenhilfe aus. Bei den vom Versicherungsnehmer noch tatsächlich ausgeübten Tätigkeiten handle es sich qualitativ nur mehr um bloß untergeordnete Teiltätigkeiten seines erlernten und vor dem Unfall auch ausgeübten Berufs. Der Versicherungsnehmer übe daher seit dem Unfall weder die das Berufsbild eines Kochs prägenden Tätigkeiten noch jene, die er konkret vor dem Unfall erbrachte, aus.

Schlussfolgerung

Dazu Rechtsanwalt Dr. Roland Weinrauch:

»Die Berufsunfähigkeit im Sinne der oben zitierten Klausel knüpft an die Unfähigkeit an, den zuletzt ausgeübten Beruf, und zwar mit den zu dessen Ausübung zuletzt geforderten Kenntnissen und Fähigkeiten, der dadurch vermittelten sozialen Stellung und Sicherheit sowie dem Ansehen in der Öffentlichkeit, auszuüben.«

Unfallversicherung – Was zu beachten ist

Die Allgemeinen Bedingungen in der Unfallversicherung sehen im Regelfall für die Geltendmachung der Invalidität eine Ausschlussfrist, bspw. von 15 Monaten, vor. Neben der rechtzeitigen Geltendmachung können Versicherungsbedingungen auch vorsehen, dass der Anspruch auf Leistung für dauernde Invalidität unter Vorlage eines ärztlichen Befundes zu begründen ist. Sollte die fristgerechte Geltendmachung der Invalidität unter Vorlage eines ärztlichen Befundes verabsäumt werden, so wendet der Versicherer gegenüber dem Versicherungsnehmer das Erlöschen des Anspruchs ein.

Aktuelle Rechtsprechung

Die aktuelle Rechtsprechung fasst Rechtsanwalt Dr. Roland Weinrauch wie folgt zusammen:

»Klauseln zur Ausschlussfrist bei der Geltendmachung des Anspruchs auf Leistung für dauernde Invalidität in der Unfallversicherung waren bereits Gegenstand zahlreicher Entscheidungen. Es entspricht ständiger Rechtsprechung (RS0082292), dass es sich bei einer derartigen Klausel um eine Ausschlussfrist handelt, die bei Säumnis zum Erlöschen des Entschädigungsanspruches führt. Nach ständiger Rechtsprechung (RS0082216) liegt der Zweck der Bestimmung darin, zweifelhafte Spätschäden vom Versicherungsschutz auszunehmen. In der Entscheidung 7Ob52/87 hat der OGH ausgeführt, dass sich die „erwähnten 15 Monate“ nicht nur auf die Geltendmachung, sondern auch auf die „Vorlage des ärztlichen Befundberichtes“ beziehen, da dies als Voraussetzung in der Klausel genannt war. Was unter einem „ärztlichen Befundbericht“ zu verstehen ist, fand ebenfalls bereits Eingang in höchstgerichtliche Entscheidungen. Nach ständiger Rechtsprechung (RS0106013) ist unter einem Befundbericht zu verstehen, dass dem Versicherer die ärztlich begründete Wahrscheinlichkeit einer dauernden Invalidität mitgeteilt wird. In der Entscheidung 7Ob139/17t wurde schließlich klargestellt, dass für die Geltendmachung der Invalidität die Behauptung erforderlich ist, es sei Invalidität dem Grund nach eingetreten. Die bloße Mitteilung des Unfalls (Schadensmeldung) und der unmittelbaren Verletzungsfolge genügt noch nicht für die Geltendmachung des Ersatzanspruches für Dauerfolgen.«

Praxistipp von Rechtsanwalt Dr. Roland Weinrauch für den Versicherungsmakler

Damit die Invalidität möglichst richtig und fristgerecht bei der Versicherung geltend gemacht wird, empfiehlt es sich für Versicherungsmakler einerseits explizit darauf zu achten, dass der Versicherung mitgeteilt wird, dass Invalidität besteht und der Anspruch auf Leistung für die dauernde Invalidität innerhalb der Ausschlussfrist geltend gemacht wird. Zudem sollte sich auch im an die Versicherung zu übermittelnden ärztlichen Befund ein eindeutiger Hinweis finden, dass die begründete Wahrscheinlichkeit einer dauernden Invalidität bzw. Funktionseinschränkung vorliegt.