Trotz Verletzung der Anzeigeobliegenheit keine Leistungsfreiheit des Versicherers

Was ist passiert?

Die Beklagte schloss bei der Klägerin einen KFZ-Haftpflichtversicherungsvertrag für einen LKW ab. Ein Mitarbeiter der Beklagten fuhr mit dem LKW auf das Gelände eines Möbelhauses, um dort Waren abzuliefern. Dabei musste er eine Schrankenanlage passieren und streifte mit dem LKW das Bedienteil des Modulträgers sowie den Ticketnehmer der Schrankenanlage, wodurch der Schrankenautomat beschädigt wurde.

Im Bereich der Schrankenanlage befindet sich eine Überwachungskamera, die den Unfall aufzeichnete. Als das geschädigte Möbelhaus den Schaden an der Schrankenanlage bemerkte, überprüfte es die Aufzeichnungen, stellte die Schadensursache fest und meldete der Klägerin am nächsten Tag den Schaden. Dabei legte es eine Schadensmeldung sowie ein Fotoprotokoll vor, auf welchem zu sehen ist, dass der LKW sie Schrankenanlage beschädigte.

Die Klägerin bezahlte dem Möbelhaus die entstandenen Reparaturkosten. Die Beklagte erstattete erst zweieinhalb Wochen nach Schadenseintritt eine Schadensmeldung an die Klägerin. Aus diesem Grund begehrte die Klägerin von der Beklagten den Ersatz dieser Kosten mit der Begründung, dass die Beklagte die Obliegenheit zur Anzeige des Versicherungsfalles verletzt habe. Der vorliegende Fall gelangte schließlich zum Obersten Gerichtshof (OGH).

Wie ist die Rechtslage?

Der OGH führte in seiner Entscheidung zu 7 Ob 52/22f zunächst aus, dass Obliegenheiten im Versicherungsrecht dem Zweck dienen, den Versicherer vor vermeidbaren Belastungen und ungerechtfertigten Ansprüchen zu schützen und die sachgemäße Abwicklung des Versicherungsfalles zu gewährleisten. Grundsätzlich sind Versicherer insbesondere dann von ihrer Leistung befreit, wenn eine Anzeigeobliegenheit mit Täuschungs- und Verschleierungsvorsatz im Sinne des § 6 Abs 3 VersVG verletzt wurde.

Allerdings normiert § 33 Abs 2 VersVG, dass Versicherer dennoch leistungspflichtig sind, sofern sie in anderer Weise von dem Eintritt des Versicherungsfalles rechtzeitig Kenntnis erlangt haben. Diese Bestimmung gilt auch für das Verhältnis Versicherungsnehmer und KFZ-Haftpflichtversicherer.

Ausgehend vom Gesetzeswortlauft des § 33 Abs 2 VersVG kann sich die Klägerin somit nicht auf die Verletzung der Anzeigeobliegenheit stützen, da sie vom Möbelhaus vom Versicherungsfall in Kenntnis gesetzt wurde. Dabei spielt es keine Rolle, aus welchen Gründen die Beklagte die Schadensmeldung unterlassen hat.

Nach Ansicht des OGH entspricht dies auch dem Gesetzeszweck, da die schuldhaft verspätete Anzeige durch den Versicherten nicht geeignet ist, den Versicherer in der Abwicklung des Versicherungsfalles zu beeinträchtigen und diesen zu ungerechtfertigten Leistung zu veranlassen, wenn er ohnehin schon von anderer Seite rechtzeitig und vollständig Kenntnis vom Schadensfall erlangt hat.

Schlussfolgerung

Dazu Rechtsanwalt Dr. Roland Weinrauch:

»Selbst wenn ein Versicherungsnehmer die Obliegenheit zur Anzeige des Versicherungsfalles mit Täuschungs- und Verschleierungsvorsatz verletzt, bleibt der Versicherer leistungspflichtig, sofern er in anderer Weise vom Eintritt des Versicherungsfalles Kenntnis erlangt hat. Im vorliegenden Fall kam der OGH daher zum Ergebnis, dass die Beklagte gegenüber der Klägerin nicht ersatzpflichtig ist.«