Unfallversicherung: Dauerfolgen nach der Jahresfrist?

Was ist passiert?

Zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer wurde ein Unfallversicherungsvertrag abgeschlossen. Die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Unfallversicherung (AUVB 2006 idF 7/2012), die der Polizze zugrunde lagen, lauteten auszugsweise wie folgt:

»Was versteht man unter „Dauernder Invalidität“? Wie wird der Invaliditätsgrad gemessen?
1. Dauernde Invalidität liegt vor, wenn die versicherte Person durch den Unfall auf Lebenszeit in ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist. Der Eintritt dauernder Invalidität ist notwendige Voraussetzung für Zahlungen aus den Leistungsarten Unfallkapital, Zusatzkapital und Unfallrente […]
2. Die dauernde Invalidität muss
– innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten sein und
[…]«

Seit einem Unfall am 06.03.2014 litt der Versicherungsnehmer an Kopfschmerzen. Aufgrund dieser, durch den Unfall verursachten Kopfschmerzen machte der Versicherungsnehmer eine 10%ige dauernde Invalidität geltend. Bei den Begutachtungen im Jänner 2016 und November 2019, die im Rahmen des durchgeführten Gerichtsverfahrens stattfanden, wurden die Kopfschmerzen ausdrücklich nicht als dauerhaft festgestellt oder prognostiziert. Erst mit Gutachten vom Juli 2021 wurden die Kopfschmerzen erstmals als dauernde Invalidität bewertet.

Wie ist die Rechtslage?

In seiner Entscheidung vom 22.03.2023 (7Ob28/23b) führte der Oberste Gerichtshof (OGH) zunächst aus, dass nach Art G.1 iVm Art G.2 AUVB Voraussetzung für die Versicherungsleistung ist, dass die versicherte Person durch den Unfall auf Dauer in ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist und diese Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten ist.

„Dauernde Invalidität“ sei nach Ansicht des OGH der gänzliche oder teilweise Verlust von Körperteilen oder Organen und/oder die Einschränkung der körperlichen, organischen oder geistigen Funktionsfähigkeit. Eine dauernde Invalidität liege vor, wenn sie objektiv vorhanden („eingetreten“) ist. Nicht entscheidend sei nach den Versicherungsbedingungen, dass sie der Versicherungsnehmer auch innerhalb der Frist eines Jahres erkannt haben muss. Eine dauernde Invalidität könne auch schon eingetreten sein, ohne dass sie der Betroffene als solche erkennt.

Dauerinvalidität in der Unfallversicherung erfordere, dass die Invalidität auf Lebensdauer feststeht, oder nach dem ärztlichen Wissensstand zur Zeit der Beurteilung und der Erfahrung des Arztes die Prognose besteht, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Invalidität lebenslang andauern wird. Nur wenn sich innerhalb eines Jahres nach dem Unfall diese Prognose ergibt, sei die erste Voraussetzung für eine allfällige Leistungspflicht des Versicherers erfüllt. Wenn sich hingegen die Prognose erst zu einem späteren Zeitpunkt in Richtung Dauerinvalidität ändern sollte, dann bestehe kein Anspruch.

Im vorliegenden Fall wurden die Kopfschmerzen des Versicherungsnehmers nicht innerhalb der Jahresfrist des Art G.2 AUVB, sondern erst sieben Jahre nach dem Unfall erstmals als dauerhaft bewertet. Da sich die dauernde Invalidität im vorliegenden Fall erst nach Ablauf eines Jahres ergeben habe, sei der Versicherer infolge der vereinbarten Klausel gemäß Art G.2 AUVB leistungsfrei.

Schlussfolgerung

Dazu Rechtsanwalt Dr. Roland Weinrauch:

»Die Bestimmung, wonach der Versicherer die vereinbarte Leistung zu erbringen hat, falls sich innerhalb eines Jahres vom Unfallstag an ergibt, dass eine dauernde Invalidität zurückbleibt, stellt einen Risikoausschluss dar und führt dazu, dass der Versicherer leistungsfrei ist, wenn sich die dauernde Invalidität erst nach Ablauf dieses einen Jahres ergibt.«