Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung: Keine Leistungsfreiheit ohne Nachweis eines wissentlichen Pflichtverstoßes – OGH 7Ob157/24z

Was ist passiert?

Ein selbstständiger Rechtsanwalt begehrte von seiner Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung die Deckung für Schadenersatzforderungen iHv von rund EUR 210.000,00. Hintergrund war, dass der Anwalt während eines Auslandsaufenthalts im Februar 2022 krankheitsbedingt, nicht wie sonst üblich, Substitute (anwaltliche Vertretungen) für anberaumte Gerichtstermine seiner Mandanten organisieren konnte, weshalb Versäumungsurteile zu Lasten seiner Mandanten ergingen.

Der Versicherer verweigerte die Leistung unter Verweis auf den Risikoausschluss bei „wissentlicher Pflichtverletzung“ laut Art 4.1.3 der AVBV 1999 sowie auf eine angeblich grob fahrlässige Verletzung der sogenannten Rettungsobliegenheit (§ 62 VersVG), weil keine Wiedereinsetzungsanträge gestellt und keine Weisungen des Versicherers eingeholt wurden. Das Erstgericht wies die Klage ohne Beweisverfahren ab, das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung im Wesentlichen. Der Anwalt erhob Revision.

Wie ist die Rechtslage?

Der OGH gab der Revision statt und hob die Urteile der Vorinstanzen auf. Entscheidend sei, dass das Vorliegen einer „wissentlichen Pflichtverletzung“ iSd Art 4.1.3 AVBV eine positive Kenntnis des Versicherten über seine konkreten Pflichten sowie ein Bewusstsein über deren Verletzung voraussetze. Fahrlässige Unkenntnis oder ein Rechtsirrtum über den Inhalt der Pflicht genügen hingegen nicht dafür, dass der Risikoausschluss greift.

Der Kläger argumentierte, er habe die Aussicht auf Wiedereinsetzungsanträge geprüft und diese aufgrund ständiger, restriktiver Judikatur als aussichtslos bewertet. Selbst wenn diese Rechtsansicht unvertretbar wäre, könne daraus noch kein „wissentlicher“ Pflichtverstoß abgeleitet werden, solange der Kläger subjektiv davon ausging, rechtmäßig zu handeln. Die fahrlässige Unkenntnis von der Pflicht aber auch die irrtümliche (fahrlässige) Entscheidung für eine ungeeignete Maßnahme vermag keine wissentliche Pflichtwidrigkeit zu begründen.

Auch hinsichtlich der Verletzung der Rettungsobliegenheit nach § 62 VersVG betonte der OGH, dass eine grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung vom Versicherer, das Fehlen von Vorsatz und grober Fahrlässigkeit wiederum vom Versicherungsnehmer zu beweisen sei. Zu dem Einwand der Beklagten, dass der Kläger die Rettungsobliegenheit verletzt habe, dadurch, dass er grob schuldhaft keine Wiedereinsetzungsanträge gestellt habe, hielt der Kläger auch hier entgegen, dass die Einbringung von Wiedereinsetzungsanträgen ex ante aussichtlos gewesen wäre und ihm höchstens ein leichtes Verschulden zur Last gelegt werden könnte, da er keine Weisung von der Beklagten eingeholt habe, aber auch diesfalls fehle es an der Kausalität, weil auch in dem Fall, dass Wiedereinsetzungsanträge weisungsgemäß gestellt worden wären, diese mit hoher Wahrscheinlichkeit abgewiesen worden wären. Der Schaden wäre daher im selben Ausmaß eingetreten.

Mangels jeglicher Tatsachengrundlage könne weder der Risikoausschluss noch die Verletzung der Rettungsobliegenheit beurteilt werden, weshalb die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen wurde.

Schlussfolgerung

Für eine Leistungsfreiheit genügt nicht bloß eine ex-post Betrachtung der Unvertretbarkeit anwaltlichen Handelns, sondern es bedarf konkreter Feststellungen zum subjektiven Pflichtverletzungsbewusstsein. Rechtsirrtümer oder vertretbare Fehleinschätzungen können dazu führen, dass der Risikoausschluss nicht greift.

Die Versicherungsstreitigkeit verdeutlich aber auch, wie wichtig es ist, dass der Versicherer in sämtliche Entscheidungen miteingebunden wird, die auf den Versicherungsfall oder die Versicherungsleistung Einfluss nehmen könnten.