Versicherungsvertragsrecht: Auslegung des Begriffs »unter Erdniveau« in der Leitungswasserversicherung
Was ist passiert?
Der Versicherungsnehmer hatte für sein Hotel eine Leitungswasserversicherung abgeschlossen. Die anwendbaren Allgemeinen Bedingungen für die Leitungswasserschadenversicherung – Deckungsvariante Premium FL03 (AWBP) sehen in Art 8 vor, dass „unter Erdniveau aufbewahrte Waren mindestens 12 cm über dem Fußboden gelagert werden müssen“.
Das Hotel des Versicherungsnehmers weist ein Obergeschoß (OG), ein Erdgeschoß (EG) und fünf Untergeschoße (UG) auf. Es ist in steiler Hanglage errichtet, sodass die ostseitige Rückseite, eine der Längsseiten des Gebäudes, im Bereich der fünf UG bis zur Fußbodenkonstruktion des EG und die beiden südlichen und nördlichen Schmalseiten in diesem Bereich keilförmig, dem Geländeverlauf folgend, eingeschüttet sind. Die dem Hang abgewandte Westseite ist in allen Geschoßen, vom OG bis einschließlich zum fünften UG freistehend. Auch das unterste Geschoß ist ebenerdig von der freistehenden Seite zugänglich. Das Fußbodenniveau des fünften UG ist auf der gesamten Vorderseite über Erdniveau situiert. Es ist über die parallel zum Baukörper verlaufende Straße zugänglich.
In einem im 5. UG situierten Lager kam es aufgrund einer Beschädigung der Hauptwasserleitung zu einem Wasserstand von weniger als 12 cm, weil das Wasser über einen Öffnungsquerschnitt im Mauerwerk ungehindert abfließen konnte. In diesem Lager waren zahlreiche Gegenstände des Versicherungsnehmers unmittelbar auf dem Boden in Schachteln gelagert. Diese Waren wurden durch das Wasser beschädigt.
Der Versicherungsnehmer verlangte vom Versicherer Ersatz für die beschädigten Waren. Der Versicherer wandte im Prozess ein, das fünfte UG sei nach der technischen Definition als unter dem Erdniveau liegend anzusehen. Da die Waren entgegen Art 8 AWBP nicht mindestens 12 cm über dem Fußboden gelagert worden seien, sei er leistungsfrei.
Wie ist die Rechtslage?
Der OGH hielt in seiner dazu ergangenen Entscheidung vom 21.2.2023, GZ 7 Ob 220/22m, zunächst fest, dass das Erfordernis gem. Art 8 AWBP, Waren unter Erdniveau mindestens 12 cm über dem Fußboden zu lagern, im vorliegenden Fall eine (vorbeugende) Obliegenheit darstelle. Der mit der Klausel verfolgte Zweck liege darin, die höhere Schadensneigung im Rahmen einer Leitungswasserversicherung bei in tiefer gelegenen Gebäudeteilen situierten Waren zu reduzieren, sammle sich doch Wasser grundsätzlich dem Gesetz der Schwerkraft folgend in den unteren Bereichen an und könne dort nur langsamer oder gar nicht ablaufen.
Nach der Definition des OGH ist ein Raum dann unter Erdniveau, wenn dessen Fußboden niedriger liegt, als das Gelände um das Gebäude; bei gestufter oder unebener Geländeumgebung, wenn er niedriger als die niedrigste Stelle des Geländes liegt. Da im vorliegenden Fall das Fußbodenniveau des fünften UG auf der gesamten Vorderseite über Erdniveau situiert ist und das Wasser im Wege der westseitigen Gebäudeöffnungen ungehindert abfließen konnte, war der Versicherungsnehmer nicht verpflichtet, die beschädigten Waren mindestens 12 cm über dem Fußboden zu lagern.
Schlussfolgerung
Dazu Rechtsanwalt Dr. Roland Weinrauch:
»Der Begriff „unter Erdniveau“ iS Art 8 AWBP bezieht sich bei Gebäuden in Hanglagen auf die niedrigste Stelle des Geländes. Nur wenn der Fußboden eines Raums unter der niedrigsten Stelle des Geländes um das Gebäude liegt, ist er unter Erdniveau.«