Kaskoversicherung: Lackkratzer durch Schneeentfernung – Unfall?

Was ist passiert?

Der Versicherungsnehmer hat für seinen PKW einen Kaskoversicherungsvertrag mit dem Versicherer abgeschlossen. Die dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen (KKB) lauten auszugsweise wie folgt:

»Artikel 1
Was ist versichert?
(Umfang der Versicherung)
1. Versichert sind das Fahrzeug und seine Teile, die im versperrten Fahrzeug verwahrt oder an ihm befestigt sind, gegen Beschädigung, Zerstörung und Verlust
[…]
1.6 durch Unfall, das ist ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt einwirkendes Ereignis; […]«

Am 04.04.2021 fielen dem Versicherungsnehmer Lackkratzer auf, die durch eine Eisenschaufel bei der Schneeräumung herbeigeführt wurden. Der Versicherer lehnte eine Leistung ab, woraufhin der Versicherungsnehmer eine Klage einbrachte, Der Fall landete schließlich vor dem Obersten Gerichtshof (OGH). In der Entscheidung des OGH vom 22.11.2023, Geschäftszahl: 7 Ob 170/23k, stand außer Streit, dass die Lackkratzer durch ein unmittelbar von außen mit mechanischer Gewalt wirkendes Ereignis gemäß Artikel 1.1.6 KKB herbeigeführt wurden. Zu klären war noch die Frage, ob die Einwirkung „plötzlich“ erfolgte.


Wie ist die Rechtslage?

Der OGH führte zunächst aus, dass ein Schadenereignis „plötzlich“ auf ein Fahrzeug einwirkt, wenn es sich in einem relativ kurzen Zeitraum abspielt. Der Begriff schließe auch ein subjektives Element des Unerwarteten, nicht Vorausgesehenen, Unentrinnbaren ein. „Plötzlich“ sei damit auch ein allmähliches Geschehen, sofern die Folgen für den Versicherungsnehmer unerwartet waren. Für den Versicherten müsse die Lage so sein, dass er sich bei normalem Geschehensablauf den Folgen des Ereignisses im Augenblick ihres Einwirkens auf sein Fahrzeug nicht mehr entziehen kann. „Plötzlich“ seien damit zwanglos alle Ereignisse, die sich in einem sehr kurzen Zeitraum unerwartet ereignen. Nach Ansicht des OGH können aber auch allmählich eintretende Ereignisse unter den Begriff fallen, wenn sie nur für den Versicherungsnehmer unerwartet und unvorhergesehen waren. Ein Unfallereignis liege somit nur dann vor, wenn objektiv für den betreffenden Versicherungsnehmer kein Grund bestand, mit den konkret eingetretenen Umständen zu rechnen, er davon überrascht wurde und ihnen nicht entgehen konnte. Sofern daher ein Versicherungsnehmer zwar selbst nicht damit gerechnet hat, den konkreten widrigen Umständen in dieser Form zu begegnen, er dies aber objektiv betrachtet in der konkreten Situation tun hätte müssen, so mangelt es nach Ansicht des OGH an der beachtlichen subjektiven Komponente, sodass nicht von „Plötzlichkeit“ und einem Unfallgeschehen gesprochen werden kann.

Daraus folgt für den OGH, dass die Beschädigung eines Fahrzeugs durch einen Dritten, für den Versicherungsnehmer unerwartet, unerkennbar und nicht vorhergesehen, sohin plötzlich eintritt.  An einer plötzlichen Einwirkung fehle es jedoch beispielsweise dann, wenn der Versicherungsnehmer sein Fahrzeug selbst mit einem sandbeschmutzten Schwamm wäscht oder mit einer Eisenschaufel den Schnee vom Fahrzeug entfernt und dabei den Lack beschädigt.

Nachdem das Erstgericht nicht festgestellt hat, von wem die Lackierung zerkratzt wurde, wurde die Rechtssache zur Verfahrensergänzung an die untere Instanz zurückverwiesen.

Schlussfolgerung

Dazu Rechtsanwalt Dr. Roland Weinrauch:

»Wenn die Lackierung des Fahrzeugs im Zuge des Entfernens von Schnee durch einen (unbekannten) Dritten zerkratzt wird, ist die Einwirkung plötzlich und es liegt ein Unfall nach Art 1.1.6 KKB vor. Sofern die Kratzer vom Versicherungsnehmer selbst bei der Entfernung von Schnee mittels einer Eisenschaufel verursacht wurden, könnte es an den beachtlichen subjektiven Komponenten fehlen, sodass von einer „Plötzlichkeit“ und einem Unfallgeschehen nicht gesprochen werden kann