Lebensbedrohlicher Schuss als »Gefahr des täglichen Lebens«?

Was ist passiert?

Zwischen Versicherungsnehmer und Versicherung bestand ein Haushaltsversicherungsvertrag, der auch eine Privat- und Sporthaftpflichtversicherung umfasste. Gemäß den vereinbarten Versicherungsbedingungen erstreckte sich die Versicherung auf Schadenersatzverpflichtungen des Versicherungsnehmers „als Privatperson aus den Gefahren des täglichen Lebens“.

Im Dezember 2019 besuchte der Versicherungsnehmer mehrere Freunde in einer WG. Da er in dieser Zeit beim Bundesheer tätig war und am nächsten Tag eine Waffenübung plante, hatte der Versicherungsnehmer bei seinem Freundesbesuch eine Pistole in einer Sporttasche dabei. Nach mehreren alkoholischen Getränken nahm der Versicherungsnehmer die Waffe aus der Tasche, um diese herzuzeigen und legte ein Magazin ein. Entgegen der Meinung des Versicherungsnehmers befand sich dabei auch eine scharfe Patrone im Magazin. Im Glauben, lediglich Übungspatronen geladen zu haben, feuerte der Versicherungsnehmer die Waffe ab, ohne sich vorher zu vergewissern, wo sich Personen im Raum aufhielten. Tragischerweise schoss er einem Mitbewohner in den Brustbereich und verletzte diesen schwer.

Der Versicherungsnehmer begehrte von seiner Haftpflichtversicherung Deckung für diesen Fall. Diese lehnte jedoch mit der Begründung ab, dass sich keine Gefahr des täglichen Lebens verwirklicht habe und das Verhalten des Versicherungsnehmers daher schon nicht von der primären Risikoumschreibung umfasst sei.

Wie ist die Rechtslage?

In seiner Entscheidung zu 7 Ob 87/23d musste der Oberste Gerichtshof (OGH) daher auf die Frage eingehen, wann ein Haftungsfall noch der „Gefahr des täglichen Lebens“ entspringt und ab wann eine derart außergewöhnliche Situation gegeben ist, die die Deckungspflicht entfallen lässt.

Nach ständiger Rechtsprechung umfassen „Gefahren des täglichen Lebens“ jene Gefahren, mit denen im Privatleben gerechnet werden muss. Dabei stelle die Gefahr, haftpflichtig zu werden, jedoch bereits grundsätzlich eine Ausnahme im Leben eines Durchschnittsmenschen dar, weshalb prinzipiell auch außergewöhnliche Situationen zu decken seien, in die ein Durchschnittsmensch hineingeraten kann. Es genüge eine Situation, die im normalen Lebensverlauf immer wieder, sei es auch selten, eintritt. Auch Gefahren, die aus rechtswidrigem oder sorglosem Verhalten entspringen, können nach Ansicht des OGH Gefahren des täglichen Lebens darstellen. Eine Fehlleistung sei nämlich gerade Voraussetzung für einen aus der Gefahr des täglichen Lebens verursachten Schadensfall. Dennoch könne auch bloß fahrlässiges Verhalten des Versicherungsnehmers im Einzelfall eine derart außergewöhnliche Situation schaffen, die nicht mehr als Gefahr des täglichen Lebens zu beurteilen sei.

Auf Grund dieser Erwägungen kam der OGH im gegenständlichen Fall zu dem Schluss, dass sich keine Gefahr des täglichen Lebens verwirklicht habe. Das Mitnehmen einer Waffe in eine fremde Wohnung sowie das Manipulieren dieser Waffe nach Alkoholkonsum völlig ohne Anlass und derart unaufmerksam, dass eine scharfe Patrone übersehen wurde und das folgende Betätigen des Abzugs in einer Wohnung voller Menschen stelle eine besondere Gefahrensituation dar, welche auch im normalen Lebenslauf nicht immer wieder eintritt. Eine Pflicht zur Deckung bestand für die Versicherung somit nicht.

Schlussfolgerung

Dazu Rechtsanwalt Dr. Roland Weinrauch:

»Haftungsfälle stellen im durchschnittlichen Alltagsleben bereits per se eine Ausnahmesituation dar, sodass es gerade Zweck einer Privathaftpflichtversicherung ist, auch diese Fälle zu decken. Mit dem Versicherungsbegriff der Gefahr des täglichen Lebens werden sohin lediglich derart außergewöhnliche Fälle von der Deckung ausgenommen, mit denen im normalen Lebenslauf nicht zu rechnen ist. Die Abgrenzung zwischen dem gedeckten Eskalieren einer Alltagssituation und dem Vorliegen einer nicht gedeckten außergewöhnlichen Gefahrensituation muss stets im Einzelfall vorgenommen werden